
Seit einiger Zeit häuft sich – wie schon berichtet – auch im Rollbergkiez das Auftauchen rechtsextremistischer Sticker und Tags (Schriftzügen) an Laternen und Stromkästen auf. Auch rechtsextreme Schmierereien und Graffitis an Wänden sind grade in besorgniserregender Häufigkeit zu erkennen. Wir haben zu dieser Entwicklung mit Akteur*innen gesprochen, die sich in Neukölln mit Antirassismus beschäftigen. Hier ein Interview mit einer Mitarbeiterin der Registerstelle Neukölln in Trägerschaft von Yekmal e. V., die extrem rechte und diskriminierende Vorfälle dokumentiert.
Wer seid ihr? Was sind eure Aufgaben- beziehungsweise Wirkungsbereiche mit Yekmal e. V. sowie dem Register Neukölln?
Yekmal e. V. (Verein der Eltern aus Kurdistan in Deutschland) ist ein freier gemeinnütziger Träger und zählt zu den sogenannten Migrant*innenselbstorganisationen in Deutschland. Der soziale Träger Yekmal e. V. blickt auf eine über 30-jährige Vereinsgeschichte zurück und ist in verschiedenen Bereichen der Sozialen Arbeit, Bildung, Empowerment und Teilhabe tätig. Der Antidiskriminierungsbereich von Yekmal e. V. trägt den Namen „Centrum für intersektionale Diversität“ (CiD) und vereint vier unterschiedliche Projekte.
Dazu zählt die Anlaufstelle gegen Gewalt und Diskriminierung in Neukölln, das dazugehörige Empowerment- und Teilhabeprojekt „Zusammen sind wir stark!“, eine berlinweite Antidiskriminierungsberatung auf Kurmanci und Sorani und die Trägerschaft für das Register Neukölln.
Das Register Neukölln gehört zu dem berlinweiten Netzwerk der Berliner Register und ist eine Melde- und Dokumentationsstelle für extrem rechte und diskriminierende Vorfälle. Es werden nur Vorfälle aufgenommen, die rassistisch, antisemitisch, LGBTIQ*-feindlich, antiziganistisch, extrem rechts, sozialchauvinistisch, behindertenfeindlich oder antifeministisch einzuordnen sind. Die Vorfälle werden von Menschen aus der Zivilgesellschaft über verschiedene Wege an das Register Neukölln geschickt. Anschließend werden die Meldungen gesammelt und geprüft, als Einträge in einer Online-Chronik veröffentlicht und einmal jährlich in Form eines Jahresberichtes ausgewertet.
Ihr habt kürzlich die Jahresauswertung 2024 veröffentlicht – welche Entwicklungstendenzen sind dabei auffällig geworden?
Das Register Neukölln verzeichnete im Jahr 2024 mit 489 dokumentierten Meldungen einen Anstieg von Vorfallzahlen. Fast alle Fälle lassen sich auf extrem rechte und diskriminierende Motive zurückführen. Eine besonders deutliche Zunahme zeigt sich im Bereich der antisemitischen Propaganda in Nord-Neukölln seit dem 7. Oktober 2023. Ebenfalls dokumentierte das Register eine gehäufte Anzahl von Bedrohungen und Angriffen gegen Personen in Nord-Neukölln, die von Rassismus betroffen sind. Rassismus zeigte sich auch in besonderer Form von struktureller Diskriminierung, etwa durch Behörden oder im Alltag. Außerdem häuften sich queer-feindliche Vorfälle und gezielte Angriffe auf Läden und Kneipen. Nord-Neukölln blieb Hauptschauplatz der Vorfälle, während südliche Bezirksgebiete primär von neonazistischer Propaganda betroffen waren.
In der Rollbergsiedlung tauchen vermehrt Tags (= Schriftzüge) und Sticker mit rechtsextremistischer Symbolik/Botschaft auf, warum jetzt und hier?
Extrem rechte Propaganda wie Sticker und Schmierereien sind nicht unüblich für Neukölln, jedoch hat sich dies bisher nur marginal in unseren Zahlen zur Rollbergsiedlung gezeigt. Hierfür kann es verschiedene Gründe geben. Zu den gängigen Betätigungsfeldern extrem rechter Gruppierungen gehören die digitale sowie die öffentliche Raumeinnahme. Es wird versucht, das Stadtbild zu dominieren und politisch Andersdenke sowie von Diskriminierung betroffene Personen einzuschüchtern. Ein weiterer Grund können einzelne Anwohner*innen mit rechter Gesinnung sein, welche aktiv rassistische Propaganda in ihrer Freizeit in der eigenen Nachbarschaft verbreiten. Die Berliner Register erfassen seit geraumer Zeit einen Zuwachs an extrem rechter Propaganda in allen Berliner Bezirken, aber insbesondere in den Randbezirken. Auch in den Innenstadtbezirken werden zunehmend junge Neonazis gesichtet, die Propaganda mit extrem rechten Inhalten verbreiten. Um diese auch erkennen zu können, empfehlen wir die Handreichung der Kolleg*innen aus Lichtenberg.
Was ist der ‚richtige‘ Umgang, wenn Personen solch feindliche Propaganda im öffentlichen Raum entdecken? Melden sie dies bei euch, der Polizei, der Stadt und Land? Was ist das ‚beste‘ Vorgehen?
Idealerweise schickt ihr uns ein Bild der diskriminierenden und/oder extrem rechten Propaganda via Messenger (WhatsApp und Signal: +49 157 392 85 358) oder über Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!/Instagram. Zusätzlich benötigen wir eine genaue Ortsangabe und eine kurze Notiz, wann ihr die Propaganda entdeckt habt. Falls es sich um strafrechtlich relevante Propaganda handelt, könnt ihr zusätzlich eine Anzeige über die Onlinewache der Berliner Polizei stellen. Falls das gewünscht ist, übernehmen wir das auch gerne für euch.
Viele (betroffene) Menschen teilen ein Gefühl der Angst und Ohnmacht – wie können Personen aktiv werden, um diesem Problem im Kiez zu begegnen?
Es gibt verschiedene Initiativen im Bezirk Neukölln, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus engagieren und sich in der Nachbar*innenschaft vernetzen. Solche Orte können bestärken und einem Ohnmachtsgefühl entgegenwirken. In mehreren Kiezen finden sogenannte Putzspaziergänge statt, bei denen sich Nachbar*innen solidarisch mit Betroffenen zeigen, indem sie den Kiez von neonazistischer Propaganda befreien. Auf diese Weise kann ein klares Zeichen gegen Hass und Hetze gesetzt werden.
Eine weitere Möglichkeit neben der Meldung von Vorfällen beim Register ist die Anlaufstelle gegen Gewalt & Diskriminierung in der Mainzerstr. 26A, 12053 Berlin (am Boddinplatz). Hier kann bei Bedarf geklärt werden, welche Beratungsstellen für spezifische Diskriminierungserfahrungen und Fragestellungen zuständig sind.
Der Berliner Soforthilfefonds unterstützt Personen oder Einrichtungen, die aus beispielsweise rassistischen, antisemitischen, transfeindlichen oder anderen menschenverachtenden Motiven angegriffen oder bedroht werden. Auch Personen, die aufgrund ihres Engagements für Demokratie und Menschenrechte Gewalt erfahren haben, werden unterstützt.
Mit bis zu 1.000 € können anfallende Kosten für Anwält*innen, Therapiesitzungen, Selbstverteidigungskurse oder die Reparatur eines Gegenstandes beantragt werden.
Kontakt Register Neukölln:
Karl-Marx-Str. 172
12043 Berlin-Neukölln
Website: yekmal.com
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Das Interview führte H. Heiland via E-Mail im Juli 2025.