Interview mit Nora Barbiche, der Initiatorin des Ferienprojekts für Kinder und Jugendliche von 8 bis 18 Jahren
Mit dem Projekt, „Ich KRIEG die Krise“ sollen Kinder und Jugendliche auf eine Reise mitgenommen werden, auf der sie ihre Hoffnungen und Träume von einer friedlichen Welt ausdrücken können. Bei Workshops zu Musik, Kunst, Theater und biografischen Entdeckungen stehen Frieden und Dialog im Mittelpunkt. Gemeinsam produzieren die Teilnehmenden im Projekt einen Dokumentarfilm, der am 03.08.2024 im Rollberg Yorck Kino und am 17.09. ab 19.30 Uhr im Rollberger Kiez-Kino am Sp*ti Kiezladen (Kienitzer Straße 26) gezeigt wird.
Was ist der Anlass für das Projekt „Ich KRIEG die Krise“?
Als Grundschullehrerin sehe ich mit Entsetzen, dass es aktuell angesichts der vielen Kriege in der Welt an Schulen kaum möglich ist, über den Schmerz und die Probleme zu sprechen, die das für Kinder und Jugendliche bedeutet. Diese Kriege und die Bilder von ihnen sind in den sozialen Medien dauerpräsent, gerade der Nahostkonflikt. Die Kinder und Jugendlichen schlafen mit diesen Bildern ein und wachen mit ihnen auf. Das sind traumatische Bilder, Kriegsbilder. Die müssen verarbeitet werden. Ganz unabhängig davon, welche politischen Lager es gibt. Darauf wollen wir in unserem Projekt gar nicht einsteigen. Wir wollen, dass Kinder die Möglichkeit haben, Bilder, die sie erschrecken, die sie traumatisieren, zu verarbeiten.
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Wie verbindet sich das mit den Themen Herkunft, Gemeinschaft und Zugehörigkeit, über die ihr auch sprechen wollt?
Gerade in Neukölln gibt es ja unterschiedlichste Menschen, die hier zusammenleben. Unter anderem viele Kinder mit Migrationshintergrund. Das sind Kinder, die gar nicht die Möglichkeit haben, mal aus ihrer Perspektive zu erzählen. An den Grundschulen kommen viele Themen, die sie beschäftigen, gar nicht vor. Deshalb sagen wir, ihr seid nicht einfach Kinder mit Migrationshintergrund, sondern ihr seid Berliner Kinder, ihr seid Neuköllner Kinder, ihr seid Deutschlands Kinder. Diese Kinder sprechen auf Deutsch, sie denken auf Deutsch und sollten wie deutsche Kinder oder Berliner Kinder aufgefangen und behandelt werden. Dazu gehört natürlich wesentlich, ihre Perspektiven zu sehen und mit ihnen über ihre Belange zu sprechen. Das geht leider an den Schulen unter. Wir wollen da mit unserem Projekt eine Lücke schließen und ihnen das Gefühl geben: Ihr seid wichtig, ihr werdet hier empathisch aufgefangen.
Ihr sagt, ihr wollt Geschichten hören und erzählen. Welche Geschichten?
Im Projekt geht es einerseits vor allem darum, dass wir diesen Kindern eine Plattform geben möchten, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Also zum Beispiel ihre Migrationsgeschichten, ihre Identitäten. Andererseits wollen wir biografisch arbeiten und auch andere Menschen einladen, von ihren Geschichten zu erzählen, so dass ein interkultureller Dialog entsteht. Austausch ist wichtig, und wir denken, dass nur biografisches Erzählen Menschen dazu bringt, einander zu verstehen und Empathie, also Mitgefühl füreinander zu entwickeln. Ziel unseres Projektes ist ein Dokumentarfilm, den wir zusammen drehen und der all diese Perspektiven aufnimmt. Er soll zeigen, wie es ist, nicht richtig verstanden zu werden. Wie es ist, all diese Bilder von Krieg und Krise aufzunehmen und mit jemandem darüber sprechen zu wollen, was aber dann nicht wirklich stattfindet.
Du bist im Kiez sehr engagiert. Was ist deine persönliche Motivation?
Wie gesagt bin ich Grundschullehrerin und sehe den Bedarf an den Schulen, dass die Kinder über die Bilder, die sie sehen, sprechen müssen. Über ihre damit verbundenen Ängste und Vorstellungen. Darüber hinaus ist mein Interesse, die Teilhabe dieser Kinder zu stärken. Denn wenn man ihnen jetzt aktuell nicht die Möglichkeit gibt, sich mitzuteilen und auszutauschen, verkapseln sie sich. Wenn die Kinder sehen, dass Deutschland oder Berlin und seine Einrichtungen ihnen nicht zuhören und sie auffangen, dann suchen sie sich im Endeffekt andere Ansprechpartner und -partnerinnen, die dem gesellschaftlichen Miteinander vielleicht nicht wirklich guttun. Das verändert die Gesellschaft dann nachhaltig, weil sie sich im Endeffekt vielleicht sogar radikalisieren. Genau das wollen wir auffangen.
Darüber hinaus habe ich ein Unternehmen gegründet, das sich für Nachhaltigkeit auch bei uns in Neukölln einsetzt. Meine Motivation ist es, Deutschland in Bezug auf Teilhabe nachhaltig zu verändern. Damit fange ich hier im Kiez an, denn hier wohne ich.
Das Projekt „Ich KRIEG die Krise“ wird von Kultur macht stark/Bündnis für Bildung, dem Kiezanker e. V., Eurasia – Sport & Philosophie Center und dem Bezirksamt Neukölln – Amt für Weiterbildung und Kultur – Volkshochschule veranstaltet und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
Interview und Bild: H. Heiland, 19.7.2024